Räuber am Niederrhein?!

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Niederrhein-Räuber

Erster Teil – Die Geschichte des Räuberunwesens im 18. und frühen 19. Jahrhunderts am Beispiel der Großen Niederländischen Bande.

Wenn ich an Räuber denke, dann ist da natürlich direkt Robin Hood. Ein romantischer Held, der sich gegen die Obrigkeit auflehnt und eigentlich nur den Armen helfen möchte. Doch Robin Hood ist weit weg. Was hat das mit dem Niederrhein zu tun? Näher heran kommt da schon der Schinderhannes, der heute wohl bekannteste Räuber aus dem deutschen Raum. Johannes Bückler – so der bürgerliche Name – stammte aus dem Hunsrück und war zwar eine real existierende Person, aber gehört ebenso wie Robin Hood zum verklärten Räubermythos. Dabei waren seine Taten näher betrachtet grobschlächtig und seine Beute eher gering.  

Und damit kommen wir zum Niederrhein. Denn das organisierte Räuberunwesen während der französischen Besatzungszeit am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in unserer Region war, wenn man der zeitgenössischen Einschätzung folgt, geradezu genial. Hierzu ein Zitat aus der “Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins, 2” von Johann Nikolaus Becker aus dem Jahr 1804:  

“Ihre Anführer zeigen ein vollendetes Räubergenie, ihre Pläne sind groß, weitaussehend; ihre Räubereyen werden nach einer äußerst künstlich ausgedachten Tactik unabweichbar ausgeführt; unermeßlich ist die Beute, die sie innerhalb dreyzehn Jahren, – so lange kennen wir sie – davon schleppen, verbreitet über eine außerordentliche Strecke, durch drey Reiche, hindurch ihr Tummelplatz.” 

Doch wie kam es zu der Blütezeit des Räuberunwesens? Und wie agierten die Räuberbanden am Niederrhein? Das schauen wir uns heute am Beispiel der sogenannten großen Niederländischen Bande an. 

Umbruchzeiten als Nährboden für den Aufschwung des Räuberunwesens  

Um die Ursachen der Hochzeit des Räuberunwesens am Niederrhein zu verstehen, muss man sich die politischen und sozialen Umstände der Zeit anschauen. In ganz Europa kam es zum Ende des 18. Jahrhunderts zu massiven kulturellen und politischen Umbrüchen. Diese gipfelten in Frankreich in der französischen Revolution mit all ihren Folgen: Untergang der Monarchie und Aufstieg des Bürgertums, Trennung von Staat und Kirche, Einführung des code civil als bürgerliches Gesetzbuch sowie das Aufkommen neuer Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und erste Einführungen demokratischer Merkmale wie Wahlen, Gewaltenteilung und politische Parteien.  

Der Niederrhein und die Rheinlande allgemein als direkter Nachbar Frankreichs haben die Auswirkungen dabei unmittelbar zu spüren bekommen. Nur wenige Jahre nach der Revolution – ab 1793 – wurden die linksrheinischen Gebiete schließlich von französischen Truppen besetzt. Dies brachte gerade in den ersten Jahren wirtschaftliche Ausbeutungen und ein unsicheres Polizeiwesen mit sich. Ein fruchtbarer Nährboden für illegale Aktivitäten von Personen am Rande der Gesellschaft. 

Die Gründung der großen Niederländischen Bande 

In diesen Umbruchzeiten gründete sich in den 1780er-Jahren eine Räuberbande rund um den Familienvater Jakob Moyses. Die Familie kam ursprünglich aus der Nähe von Gröningen und wuchs mit der Zeit zu einer regelrechten Räuberdynastie an. Jakob selbst war bereits im fortgeschrittenen Alter und nahm daher nicht an den Raubzügen teil. Stattdessen übernahm er die Koordination, die Planung und Verteilung der Beute. Er war es auch, der wichtige Grundsätze etablierte, die in späteren Jahren sämtliche Ableger der Ursprungsbande übernehmen sollten. Hierzu gehörte unter anderem die Devise, niemals im Heimatort selbst einen Raubzug auszuführen. Hinzu kamen der Ausbau eines enormen Netzwerkes von sicheren Unterschlüpfen wie Gasthäusern und Bordellen sowie detaillierten Planungen der Einbrüche selbst. 

 Zudem war die Bande ständig in Bewegung und zog sich bei aufziehender Gefahr in sicherere Gegenden zurück. So ging es von Gröningen aus mal nach Antwerpen, nach Gent oder Meerssen. Und wo die Familie hinkam, tat sie sich mit örtlichen Räuberbanden zusammen oder verübte in Kooperation große Streifzüge mit enormer Beute. Mit der Zeit wurden die Töchter von Jakob Moyses mit zwei wichtigen Räuberhauptmännern verheiratet: Helena oder Rebecca (der Name ist nicht gesichert) mit Franz Bosbeck und Dina mit einem der berüchtigtsten Räuber seiner Zeit und ehemaligen französischen Offizier Abraham Picard. Im Laufe der Jahre kam es immer wieder zu Gründungen neuer Gruppen wie die Meerssische, die Holländische oder die Neuwieder Bande, der stets die genannten Hauptmänner vorstanden. Auch wurde die Crefelder und Neusser Bande integriert. Alle zusammen galten schließlich als große Niederländische Bande. Ein Zusammenschluss von mehr als 200 gewaltbereiten und mitleidslosen Genossen.  

Ein typischer Raubzug 

Das Vorgehen bei einem Raubzug war dabei jederzeit wohl geplant und wurde mit der Zeit immer ausgeklügelter. Die zwischen den Überfällen voneinander getrennten Räuber wurden durch Boten und geheime Zeichen zu einem sicheren Treffplatz zusammengerufen. Dabei handelte es sich – wie bereits erwähnt – in der Regel um Gast- oder Freudenhäuser. Dort wurde der Hauptmann für den geplanten Raub festgelegt, dem unbedingter Gehorsam entgegengebracht werden musste. Hier möchte ich einmal einwerfen, dass auch die Bande des Schinderhannes gelegentlich mit der großen Niederländischen Bande zusammenarbeitete – unter der Leitung von Abraham Picard, so dass der Schinderhannes bei solchen Unternehmungen auch “nur” ein einfacher Räuber war.  

War alles abgesprochen reiste die Bande schließlich zum ausgespähten Haus, sprengte mit einem Rammbock die Tür auf, drang unter großem Gejohle und dem Gesang von französischen Soldatenliedern ein und zwang die Bewohner zur Herausgabe sämtlicher Wertgegenstände. Der Krach war dabei durchaus beabsichtigt, denn sie wollten den Eindruck erwecken, dass hier französische Soldaten unterwegs seien. War alles geplündert, wurde die Beute in großen Säcken davongetragen und erst an einem sicheren Platz verteilt. Anschließend gingen die Räuber erneut auseinander und trafen erst wieder zusammen, wenn zu einem neuen Raubzug gerufen wurde. 

In späteren Jahren wurde durch einen weiteren Hauptmann, Mathias Weber, genannt “der Fetzer”, auch ein leises und sichereres Vorgehen eingeführt. Doch dazu hören wir in einem anderen Blogbeitrag mehr. 

Die Justiz reagiert – der Niedergang der Räuber-Blütezeit 

Immer wieder kam es bei Überfällen nicht nur zu der Entwendung von Geld, Schmuck und Gold, sondern auch zu schlimmsten Verletzungen oder sogar zum Mord. Kein Wunder, dass überall Angst und Schrecken vor den Banden herrschte. Aufgrund der politischen Umstände gab es aber lange Zeit keine erfolgreiche Handhabe gegen das Räuberunwesen. Selbst wenn Bandenmitglieder gefangen genommen wurden, gelang es diesen regelmäßig zu entkommen. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschärfte die Polizei in den Rheinlanden ihre Maßnahmen. Eine herausragende Persönlichkeit ist dabei der Jurist Anton Keil, der zahlreiche Verhöre mit festgesetzten Räubern führte und viele zu Geständnissen bewegen konnte. Erst durch ihn wissen wir überhaupt so genau von der Geschichte der Banden. So wurden seit etwa 1800 nach und nach die Hauptmänner gefangen, nach Sibirien geschickt oder auch zur Todesstrafe verurteilt.  

Rückblickend zeigt sich der fast schon wahnwitzige Erfolg der Niederländischen Bande. Alle dazugehörigen Räubergruppen haben gemeinsam etwa 3,5 Millionen Franken erbeutet. Im Vergleich dazu sind die 2,7 Millionen Franken Grundsteuer der Kreise Aachen, Köln, Krefeld und Kleve schon fast nicht erwähnenswert. Und unserem guten Abraham Picard gelang es bis zum Schluss, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Zwar wurde auch er festgesetzt, aber er entkam mal wieder (wie genau, das weiß man bis heute nicht) und wurde nie wieder von den Behörden gesehen. Wer weiß – vielleicht hat er ja anderswo doch noch den ein oder anderen Überfall begangen. 

Literatur 

  • Hartmut Friesen, Räuberbanden, Diebestouren, Gaunerzinken und Bockreiter, Duisburg 1992.  
  • Hermann Jung, Der Fetzer, Die Geschichte eines Räuberlebens am Niederrhein zur Zeit Napoleons, Duisburg 1966. 
  • Johann Nikolaus Becker, Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an beyden Ufern des Rheins, Band 2, 1804. 
  • Hermann Ritter, Das Räuberunwesen im Rheinischen Lande vor 100 Jahren, Köln 1919. 
  • Johann Wilhelm Spitz, Geschichte der großen Niederländischen Räuberbande, bestehend aus der Brabändischen und Holländischen unter den Räuber-Chefs Abraham Picard und Franz Bosbeck, wovon unter 50 Räubern 32 Juden waren, Köln. 

Online

Hörmedien 

  • Podcast: True Crime.Köln, Über 180 Überfälle in acht Jahren: Die Geschichte des Räubers “Fetzer” Mathias Weber, 03. Juni 2023 

Bildnachweise

  • Der Räuber – 1829 – Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Germany – CC BY-NC-SA., https://www.europeana.eu/item/2064108/Museu_ProvidedCHO_Alte_Nationalgalerie__Staatliche_Museen_zu_Berlin__DE_MUS_815114_963432
  • Schinderhannes – Österreichische Nationalbibliothek, Austria – Public Domain., https://www.europeana.eu/item/92062/BibliographicResource_1000126181559
  • Französischer Soldat, einen Befehl erteilend – Kunstsammlung der Universität Göttingen, Germany – CC BY-SA., https://www.europeana.eu/item/990/item_JQUZT7JGD2SAH67XKHL4MLYHFVXGGFSH

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