Was macht den Niederrhein zum Niederrhein?

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Niederrhein

Eines ist klar: seine Grenzen sind es nicht. Denn die gibt es eigentlich gar nicht so wirklich. Einige Städte und Gemeinden sind eindeutig dem Niederrhein zuzuordnen. In anderen fühlen sich einige Bewohner der Region zugeordnet, andere wiederum nicht. Ganz klar niederrheinisch sind die Kreise Heinsberg, Kleve, Viersen und Wesel sowie der Rhein-Kreis Neuss und die Städte Krefeld, Isselburg, Oberhausen und Mönchengladbach. Bei vielen weiteren Städten und Gemeinden ist es nicht so sicher. 

Doch wenn sich der Niederrhein nicht durch den Raum definieren lässt, wodurch dann? Was hat die Region im Laufe der Zeit geprägt? Und was ist heute typisch Niederrhein? 

Der Niederrhein von der Antike bis zum Mittelalter 

Bereits in der Bronze- und Eisenzeit siedelten Menschen am Niederrhein, was bis heute die erhaltene Grabhügelkultur beispielsweise in Krefeld bezeugt. Doch spätestens, wenn man das Römermuseum in Xanten besucht (übrigens auch eindeutig niederrheinisch), zeigt sich, dass der wohl größte kulturelle Einfluss durch eben jene Römer an den Niederrhein kam. Seit etwa 50 v. Chr. entstanden ein enormes Straßennetz, Wasserleitungen, Zentralheizungen und hochproduktive Hofanlagen zur Versorgung der Bevölkerung. Es folgten Jahrhunderte kultureller Blüte und politischer Stabilität. 

Erst in der Spätantike zerfiel die römische Zentralmacht immer mehr, Franken und Burgunden drängten weiter an den Rhein und das Christentum startete seinen Triumphzug in Mitteleuropa. Eine ganz neue Herrscherkultur fand Einzug am Niederrhein. Geführt durch die sogenannten “reges” (Könige) konkurrierten kleine fränkische Herrschergebiete gegeneinander. Erst im 5. Jahrhundert gelang es Chlodwig das Reich zu einen. Seine Taufe im Jahr 497 war ein weiterer wichtiger Schritt hin zur Christianisierung der Rheinlande.  

Vom Machtzentrum zum fremdbestimmten Nebenschauplatz 

Wenige Jahrhunderte später ließ sich Karl der Große im Jahr 800 in Aachen zum Kaiser krönen. Unter seiner Herrschaft rückten die Kaiserpfalz und ihre Umlande ins Machtzentrum des fränkischen Reiches. Doch blieb dies ein kurzes Intermezzo, bevor der Niederrhein durch Reichsteilungen, Erbschaftskriege und spätere politische Fremdbestimmung immer wieder neue Herrscher an der Spitze hatte.  

Bekannte Schlaglichter vom Mittelalter bis in die Neuzeit waren die Herzogtümer Jülich, Berg, Geldern, Kleve sowie die Grafschaft Moers. In unterschiedlichen Bündnissen wurden die Territorien mal gemeinsam mal getrennt regiert und wurden allmählich Teil der Herrschaftsgebiete der Habsburger und Preußen. Gerade die Preußen konnten mit der Zeit ihre Machtstellung am Niederrhein ausbauen. Bis die Französische Revolution 1789 urplötzlich einen entscheidenden Einschnitt mit sich brachte. 

Die Franzosenzeit und ihre Folgen am Niederrhein 

Als direkter Nachbar Frankreichs waren die Rheinlande besonders stark von den Umbrüchen der Revolution betroffen. Die alten Territorien wurden durch das zentral gesteuerte Roerdepartement ersetzt, wobei historisch gewachsene Strukturen vollständig ignoriert und neugestaltet wurden. Plötzlich gab es zentrale Steuern anstatt des Zehnts für den Adel, kirchliche Strukturen wurden zerschlagen sowie Verwaltung und Justiz getrennt. Es kam zu einem vollkommenen Umschwung bei Besitzverhältnissen und Gesellschaftsstrukturen. Nachhaltige Folgen hatte zudem die Einführung des Code Civil, der als “rheinisches Recht” die Franzosenzeit überdauern sollte.  

Zwar dauerte die Zeit der Franzosen am Niederrhein nur bis 1815, doch prägte sie die Menschen vor Ort nachhaltig. Die nachfolgende, erneute Herrschaft durch die Preußen (ab 1822 unter dem Zusammenschluss “Rheinprovinz”) war geprägt durch starke Widerstände der Bewohner. Sie sträubten sich gegen den, durch sie als rückständig angesehenen, absolutistischen Herrscher, waren sie doch durch die napoleonische Zeit an ein emanzipiertes Bürgertum und eine aufstrebende Industrie gewöhnt. Auch konfessionelle und gesellschaftliche Unterschiede (hier traf beispielsweise Karneval auf preußisches Beamtentum) prallten immer wieder aufeinander. Hierdurch resultierende revolutionäre Bewegungen konnten jedoch niedergeschlagen werden.  

Als geeintes Deutsches Reich in zwei Weltkriege 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen wirtschaftlicher Aufschwung, Einheitsgedanken und sozialpolitische Themen auch am Niederrhein an Fahrt auf. Nach der Reichsgründung 1871 nahmen sich die Niederrheiner immer mehr als “Deutsche” wahr und es entstanden die sozialdemokratischen Hochburgen im Ruhrgebiet und in Wuppertal. Weiter südlich gründete sich die katholische Zentrumspartei, die die Regionen Köln, Aachen und Mönchengladbach prägte.  

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zeigte sich, dass sich auch die Niederrheiner mittlerweile als selbstverständlichen Teil des Deutschen Reiches verstanden. Waren Sie doch zu Beginn ebenso kriegsbegeistert wie weite Teile der Gesamtbevölkerung. Die folgenden Entwicklungen am Niederrhein sind weiterhin in den gesamtdeutschen Kontext zu setzen. Das Leid durch Hunger und Gewalt führte zur Kriegsmüdigkeit. Nach der Niederlage folgten unruhige Jahre, die durch die Besetzung der Rheinlande durch französische und belgische Truppen, eine Superinflation und die Erstarkung der Nationalsozialisten geprägt waren. Sie gipfelten schließlich in der nationalsozialistischen Machtergreifung und dem Zweiten Weltkrieg.  

Als Nordrhein-Westfalen in die Moderne 

Nachdem auch der Zweite Weltkrieg verloren war, zeigte sich der Niederrhein als Trümmerfeld. Erst langsam wurden Städte und Gemeinden wieder aufgebaut. Gleichzeitig kam es durch die Besatzungsmächte zur Gründung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, in dem wir heute noch leben.

Der Niederrhein hat damit eine bewegte Geschichte hinter sich. Vom politischen Machtzentrum zum Spielball fremder Mächte bis hin zum Teil einer gesamtdeutschen Einheit kamen immer wieder neue Einflüsse zum Tragen. Grenzen wurden verschoben, Konfessionen geändert und kulturelle Prägungen aufgedrängt. Kann es da überhaupt etwas “typisch Niederrheinisches” geben? 

Typisch Niederrhein – von der Natur bis zum Brauchtum 

Schaut man sich den Niederrhein an, dann ist es als erstes die Landschaft, die einem auffällt. Weite Felder mit unserem “Kappes” (Kohl) und Spargel, Kopfweiden, Moore und Heidelandschaften prägen das Bild. Und immer wieder finden sich Gebäude, die auch einfach typisch niederrheinisch sind. Da gibt es die Mühlen, die bei dem flachen Land und dem starken Wind einfach wunderbar mahlen. Es finden sich historische Wasserschlösser und gefühlt an jeder Ecke ein verstecktes Hofcafé mit selbstgebackenem Streuselkuchen und leckerem Kaffee.  

Wirft man einen Blick auf die Menschen, dann zeichnen sie sich durch Heimatliebe aus, durch den Genuss am guten Essen und eigentlich durch Geselligkeit. Denn auch wenn der Niederrheiner manchmal etwas grummelig daherkommt, liebt er es doch zu feiern. Allen voran sind da die jährlichen Schützenfeste, bei denen man in Galakleidung bei Bier, Bratwurst und lauter Musik im Schützenfest den aktuellen Schützenkönig feiert. Und in der Stadt ist gerne die Kirmes für die Kinder mit dabei.  

Im Herbst wird dann Laterne gelaufen. Denn der Brauch von St. Martin mit seinen Laternenumzügen, der kommt vom Niederrhein und wurde erst durch Soldaten nach dem Ersten Weltkrieg in ganz Deutschland verbreitet. Überhaupt hat es der Niederrheiner mit heiligen Männern. So kommt in Kleve immer noch alljährlich der Nikolaus mit seinem Boot angefahren und bringt Gaben für die Kinder mit.  

Außerdem steht der Niederrhein für die Textilindustrie in Krefeld, die Kunstszene in Düsseldorf und für niederländische Mundart in der gesamten Region. Und so wird klar: das typisch Niederrheinische – das gibt es. Für mich ist der Niederrhein gemütlich auf dem Land und wuselig in der Stadt, voller Natur und Kultur, bodenständig und weltoffen. Ganz nach dem berühmtesten Zitat vom wohl bekanntesten Niederrheiner Hanns Dieter Hüsch: “Der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären.” 

Literatur 

  • Volker Schönherr, Die Geschichte des Niederrheins, Von den Römern bis heute, Duisburg 1998 
  • Hanns Dieter Hüsch, Das Gemüt is ausschlaggebend, Alles andere is dumme Quatsch, Die Niederrhein Texte 5,  
  • Helena Siemes, Gerd Philips, Durch das Jahr, Feste und Bräuche am Niederrhein, 2006 

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