Wie feierte der Niederrhein das jlökseliche Nöijoar?

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Lebenswelten-Niederrhein

Oh, es war so einiges los am Niederrhein im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Da flogen Pistolenkugeln in den Himmel, Kinder zogen um die Häuser und natürlich durfte das allgegenwärtige Joarschdröpken – meistens Korn mit Rum für die Männer und ein Johannisbeerlikör für die Frauen – nicht fehlen. So mancher Brauch hat sich dabei bis in die heutige Zeit gehalten, während sich anderes weiterentwickelt hat oder auch komplett vergessen wurde. Und damit das nicht so bleibt, schauen wir uns heute an, wie genau das Neujahrsfest gefeiert wurde. Kommt also mit zu einem lauten, geselligen und fröhlichen Fest. 

Wieso startet das neue Jahr am 01. Januar? 

Doch bevor wir uns die Feierlichkeiten am Niederrhein genauer anschauen, werfen wir noch einen Blick auf das Datum des neuen Jahres. Denn dieses war nicht immer der 01. Januar. So begann ein neues Jahr beispielsweise in der Antike noch am 01. März. Unsere Monatsnamen verraten dies bis heute: Oktober – der achte Monat; November – der neunte Monat; und Dezember – der zehnte Monat. Blieben demnach Januar und Februar als elfter und zwölfter Monat. Erst mit der Einführung des Julianischen Kalenders durch Julius Caesar im Jahre 46 v. Chr. wurde der Neujahrstag auf den 01. Januar gelegt.  

1582 verfeinerte Papst Gregor XIII. den Kalender um einige neue Schaltjahrregelungen. Anlass war, dass er in diesem Jahr 10 Tage ausfallen lassen musste, um das Jahr wieder dem Sonnenlauf anzugleichen. Dies sollte künftig nicht wieder passieren. Sein Kalender setzte sich in weiten Teilen Europas durch und bestimmt seitdem den Jahreslauf. Übrigens stammt auch der Name “Silvester” von einem Papst: Silvester I. war der Sage nach verantwortlich für die Konstantinische Wende, die die Christenverfolgung im alten Rom beendete. Er starb am 31. Dezember 335 n. Chr. 

Das alte Jahr wird totgeschossen 

Zurück zum Niederrhein im späten 19. Jahrhundert. Genau wie heute wurde das neue Jahr mit lautem Knallen begrüßt. Junge Burschen bauten sich selbst Böller und schossen mit Pistolen das alte Jahr “tot”. Es galt mit möglichst viel Lärm böse Geister zu vertreiben und somit unbedarft in das neue Jahr zu starten. Gleichzeitig war das Schießen auch eine Ehrung einer jungen Frau, die einem der Männer gefiel. Denn nicht selten waren die Junggesellen eines Dorfes organisiert und wählten am 2. Weihnachtsfeiertag einen “Heär” an ihre Spitze. Dieser führte den Zug zur Auserwählten eines Burschen an, wo die Gruppe nach dem Schießen einkehrte und mit Branntwein und Joerschkökskes (Neujahrsküchlein) versorgt wurde. Bis in den frühen Morgen zogen die Männer durch das Dorf und landeten schließlich zum Kaffee in der Gaststube, in der im neuen Jahr die Kneipensitzungen des Trupps stattfinden würden.  

In Viersen-Rahser hält sich die Tradition des Heär übrigens bis heute. In diesem Jahr (2023) wurde Marcus Mauer durch seinen Vorgänger Odin Fuchs zum neuen Heär ernannt. Heutzutage handelt es sich bei dem Amt jedoch nicht mehr um den Vorsitz einer Junggesellen-Vereinigung, sondern um die Übernahme administrativer und repräsentativer Aufgaben innerhalb des Rahser Schützenvereins. 

Gut verköstigt in das neue Jahr

Im Gegensatz zu den umherziehenden Burschen sahen die Silvesterabende bei den jungen Frauen und Familien in früheren Zeiten am Niederrhein etwas ruhiger aus. Im Zentrum stand unter anderem das Backen der Nöijoarskökskes (Hefeküchlein) und Kraak (Neujahrsbrezeln). Diese wurden in der Silvesternacht aber auch noch am Neujahrstag gegessen und verschenkt. Ältere Männer spielten in der Silvesternacht Karten: die Nacht wurde “durchgekartet”. Gespielt wurde traditionell beim Bäcker des Dorfes um Brezeln. 

Gerade der erste Tag des neuen Jahres war für viele ein weiterer Festtag. Der Neujahrsmorgen begann für die Erwachsenen mit einer Frühmesse, nachdem bereits in der Nacht das neue Jahr feierlich von den Kirchenglocken verkündet worden war. Es folgten zahlreiche Besuche unter Nachbarn, Verwandten und Freunden, um gemeinsam das typische Neujahrsgebäck zu essen und mit dem Joarschdröpken auf das neue Jahr anzustoßen. Dabei zogen sich die Glückwunschbesuche in manchen Orten, ähnlich wie heute, bis zum Tag der Heiligen Drei Könige. Anderswo endeten sie erst am Antoniustag – dem 17. Januar.  

Die Kinder begrüßen das Nöijoar  

Wie auch an anderen Festtagen und in weiteren Lebensbereichen, gab es rund um Silvester ganz eigene Traditionen für die Kinder am Niederrhein. Der wohl bekannteste Brauch war das Schreiben von Neujahrsbriefen und –karten für die Eltern, Großeltern und Paten. Da wurden bereits Tage vorher in der allerbesten Handschrift in der Schule hochtrabende Briefe geschrieben. Die Inhalte wurden durch die Lehrer diktiert und von den Kindern höchstwahrscheinlich nur teilweise verstanden. Am Neujahrstag zogen die Kinder nach dem Frühstück mit den Briefen in der Hand los, um diese zu verteilen. Als Dank erhielten sie süßes Gebäck oder auch mal den ein oder anderen Pfennig.  

In manchen Gegenden – beispielsweise in Viersen – gingen die Kinder in ihrer Runde nicht nur zur Familie und den Paten, sondern klingelten auch bei Nachbarn und sagten Neujahrsverse auf. Auch dort erhielten sie Nöijoarskökskes oder ein paar Pfennige. Die Verse waren hin und wieder bereits auf Hochdeutsch. Doch gab es auch Großteils noch Gedichte in schöner niederrheinischer Mundart wie den folgenden aus Brüggen-Born: 

Jlökselich Nöijoar! 

Der Kop fol Hoar! 

Der Bül fol Jäld! 

Dat rapelt duer de jantse Wält. 

Sowohl der Brauch des Pfennigsammelns als auch der Geldbezug in den Neujahrsversen zeugen von dem Glauben, dass man das ganze Jahr hinüber keine Geldsorgen haben muss, wenn man bereits an Neujahr genug davon hat. Daher war man an diesem Tag gerne großzügig und steckte nicht nur den Kindern was zu, sondern gab darüber hinaus auch den Post- und Müllmännern ein gutes Trinkgeld als Dankeschön für das Jahr. 

Guten Rutsch und frohes neues Jahr 

Silvester und Neujahr waren am Niederrhein wohl eines der lautesten Feste, verbunden mit zahlreichen Bräuchen und Traditionen für jung und alt. Zum Ende erwähnt seien noch die Bemühungen der Kinder, ihren Eltern mit dem ersten Neujahrswunsch zuvorzukommen und sie mit diesem zu überraschen. Hier entstanden richtige Wettstreite. Die Kinder versteckten sich im Zimmer und riefen den eintretenden Erwachsenen nach der Frühmesse ein “Jlökselich Nöijoar” entgegen. Der Gewinner erhielt als Antwort ein “Noch ee dernoe”, eine Neujahrsbrezel und grundsätzlich ganz viel Glück für das kommende Jahr. 

Damit wünsche ich auch euch allen einen guten Rutsch (den wünscht man übrigens, weil man bei viel Eis ganz wörtlich gut ins neue Jahr rutschen sollte)! Ich freue mich auf viele neue Geschichten vom Niederrhein in 2024.  

Literatur

  • Helena Siemes, Gerd Philips, Durch das Jahr, Feste und Bräuche am Niederrhein, Duisburg 2001.  
  • Fritz Meyers, Das niederrheinische Jahr, 1983. 

Online

Hörmedien 

  • Podcast: Terra X History – Die Geschichte von Silvester und Neujahr 

Bildnachweise

  • postikortti, uudenvuodenkortti – Helsinki City Museum, Finland – CC BY., https://www.europeana.eu/item/117/_AD81FF2A_BF5F_406F_8A24_A07AA18B703E
  • Fröhliches Neujahr – 1927 – Karl-Franzens-Universität Graz, Austria – CC BY-SA., https://www.europeana.eu/item/09403/o_gm_8678_CHO

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