Wer war der Fetzer?

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Persönlichkeiten-Räuber

Teil 2 der Reihe „Räuber am Niederrhein?!“

Beschwingt springt ein Mann die Stufen hoch. Er scheint bester Laune. Besonders interessiert ist er an der scharfen Klinge, die auf der Plattform steht. Er begutachtet sie intensiv und lässt sie mehrfach zur Probe nach unten sausen. Die Klinge ist Teil einer Guillotine und der Mann ist weder Henker noch Gutachter. Stattdessen handelt es sich um Mathias Weber, seines Zeichens desertierter Soldat, weit bekannter Räuberhauptmann und am besagten Tage zum Tode verurteilt. Seinetwegen steht die Guillotine auf dem Kölner Alter Markt. Seinetwegen sind hunderte Schaulustige zusammengekommen. Und seinetwegen herrschte acht Jahre lang in den Rheinlanden Angst und Schrecken. 

Das Leben von Mathias Weber 

Geboren wurde Mathias 1778 in Grefrath bei Neuss und startete denkbar schlecht ins Leben. Seine Mutter starb nach seiner Geburt am Kindbettfieber. Mit nur 7 Jahren wurde er zum Vollwaisen als sein Vater bei einem Streit nach einem ausgiebigen Trinkgelage starb. Es folgten Jahre auf Wanderschaft mit einem Ziehonkel, bei dem Mathias seine ersten räuberischen Handgriffe lernte. Mit 11 Jahren fiel der kluge und geschickte Junge der Gräfin von Neersdonk in Tönisvorst auf, bei welcher er für einige Jahre unterkam und sich bis zum Forsteleven hocharbeitete. Doch Mathias war bei all seinem Können auch jähzornig und beging immer wieder kleine Diebstähle. So musste er 1794 das Gut wieder verlassen. Der Startschuss für seine Räuberkarriere. 

Von Mathias zum Fetzer

Sein erster Weg führte Mathias zum französischen Militär. Doch seiner Desertation ließ nicht lange auf sich warten und so geriet er an die Krefelder Bande – ein Zusammenschluss mehrerer Räuber, der von “Friedrich der Einäugige” gegründet wurde und bis zum Anschluss von Mathias kleinere Vergehen wie Einbrüche und Jahrmarktdiebstähle begangen hatte. Das änderte sich nun abrupt. Mathias ging bei Friedrich in die Lehre und bewies seine Entschlossenheit. Auch kam er in Kontakt mit den “großen” Räubern seiner Zeit: Abraham Picard und Karl Heckmann. Und so begannen große Raubüberfälle auf Postwagen, Gutspächter, Gastwirte und reiche Bürger. Kleiner Sidefact: Sogar die Seidenweberfamilie von der Leyen gehörte zu den Opfern des Mathias Weber.  

Dies war auch die Zeit, in der Mathias seinen Beinamen erhielt: der Fetzer. Ob dies daherkam, dass er imstande war Kisten von einem fahrenden Wagen zu schneiden (in der Gaunersprache Rotwelsch als “fetzen” bezeichnet) oder von seiner Art zu kämpfen, ist nicht abschließend geklärt. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der Fetzer zwar besonders zielstrebig und entschlossen war, doch merkt Johann Nikolaus Becker in seiner „Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an beyden Ufern des Rheins, Band 2“ an: “Grausamkeit lag an sich nicht in seinem Character, davon hat er Proben abgelegt. Bey einem gewißen Diebstahl war er es, der zwey junge Knaben, die die Räuber zu mißhandeln begannen, um dadurch die Eltern zur Entdeckung ihrer Verbergniße zu bewegen, auf die Arme nahm, und davon trug.”

Die großen Taten eines großen Räuberhauptmanns 

Mathias, der Fetzer, war angekommen in der Welt der Räuber. Und seine “Karriere” sollte innerhalb von acht Jahren enorme Ausmaße annehmen. 181 erfolgreiche und 122 misslungene Taten soll er laut eigenen Aussagen begangen haben. Alle aufzulisten ist wohl kaum möglich, daher schauen wir uns nachfolgend lediglich seine größten Coups an. 

Ein Meilenstein in seiner Räuberkarriere war unter anderem der Einbruch bei der Witwe Fettweis in der Kölner Schildergasse. Wurde sich vorab mit einem großen Rammbock und enorm viel Lärm Zugang zu den ausbaldowerten Häusern verschafft, sagte Mathias dieses Mal vor dem geplanten Streifzug, dass er der Bande leise und unbemerkt Zutritt verschaffen könne. Zwar gab es einige Skeptiker, doch man gestattete ihm den Versuch. Und tatsächlich gelang es dem Fetzer mit einem Nagel das Schloss des Kellerfensters zu öffnen (eine Kunst, die er monatelang geübt hatte), so dass die Räuber ganz in Ruhe die Beute wegtragen konnten, ohne das schnelle Eintreffen der Gendarmerie befürchten zu müssen.  

Im September 1796 wurde Mathias und seiner Bande zugetragen, dass es reichlich Schätze im Neusser Rathaus gäbe. So machten sie sich eines Abends dorthin auf, bestachen die Wachtposten und hatten fast freie Bahn hinein ins Rathaus. Hier kamen dem Fetzer erneut seine außergewöhnlichen Fähigkeiten in dem Öffnen von Schlössern mithilfe eines Nagels zugute. Die Bande entwendete unter anderem die Statue des heiligen Quirinus und eine silberne Weltkugel. Beides ist bis auf den heutigen Tag verschwunden. Hinzu kamen silberne Kruzifixe und so manch andere Schätze. Doch damit nicht genug: Da die Räuber innerhalb einer Nacht nicht alles stehlen konnten, kamen sie am nächsten Abend einfach wieder, stiegen erneut ins Rathaus ein und nahmen noch den Rest mit. Eine Schmach, die bis heute tief in den Köpfen der Neusser festsitzt.  

Als einer der lukrativsten Raubzüge sei noch der Überfall auf den Köln-Elberfelder Postwagen im Oktober 1799 erwähnt. Gemeinsam mit seinem Genossen Johann Müller führte er den Überfall mit 20 Räubern unterschiedlicher Banden an. Und der Lohn war mit 13.000 Reichstalern gigantisch. Sie entsprechen etwa einem heutigen Wert von mehr als 700.000 Euro.  

Die spektakulären Ausbrüche des Fetzers 

Ebenso aufsehenerregend wie die Raubüberfälle von Mathias Weber waren seine Ausbrüche. Denn auch wenn das Polizeiwesen während der Franzosenzeit vorerst ungeordnet und alles andere als effektiv war, entwickelte es sich mit der Zeit und immer wieder konnten Räuber festgesetzt werden. Auch der Fetzer geriet der Gendarmerie mehr als einmal in die Hände. Doch dachte er nicht daran untätig in seinem Gefängnis auf einen Prozess zu warten. Seine genialsten Ausbrüche sind dabei die aus dem Kölner Frankenturm und aus dem Neusser Mühlenturm.  

Im ersteren wurde Mathias eingesperrt, nachdem er mit seinen Kameraden zwei Juden und einen Christen auf der Straße überfallen hatte. Nach einem ersten gescheiterten Ausbruchsversuch wurde er in einem noch sichereren Raum gebracht. Doch die Herausforderung nahm Mathias nur zu gerne an. Erst brach er ein Brett aus der hölzernen Tür und hebelte diese damit auf. Es folgte eine weitere verschlossene Zwischentür. Doch hatte diese ein Katzenloch, durch welches Mathias seinen Kopf schob und sah, dass der Schlüssel steckte. Kurzum holte er sich das schon zuvor genutzte Brett und schaffte es tatsächlich mit dessen Hilfe den Schlüssel durch das Katzenloch zu sich zu holen. Schnell schloss er die Tür auf und machte sich auf und davon.  

Etwas schwieriger war da der Ausbruch aus dem Mühlenturm. Mathias war gemeinsam mit einem Kumpan eingesperrt und konnte vorerst keine Fluchtmöglichkeit über Türen, Fenster, Boden und Wände finden. Es blieb demnach nur die Decke. Auf den Schultern seines Kameraden stehend, konnte er schließlich ein Loch schaffen. Doch war die Decke noch zu hoch. Es blieb der Weg über den Kopf des Genossen. Dieser wurde von Mathias von oben an den Haaren gepackt und hochgezogen, so dass sich beide einen Weg nach draußen suchen konnten. Dieser war aber weiterhin alles andere als leicht. Schließlich gelangten sie über die Mühlenflügel weiter nach unten und nach einem 7 Meter tiefen Sprung in die Freiheit. 

Das Ende des Fetzers 

Nach einem misslungenen Überfall in Frankfurt am Main geriet Mathias Weber erneut in Gefangenschaft – gemeinsam mit dem berühmten Schinderhannes. Und dieses Mal sollte er nicht mehr entkommen. Die Polizei war mittlerweile wesentlich besser organisiert als noch wenige Jahre zuvor. Gerade durch das Zutun des neuen öffentlichen Anklägers Anton Keil hatte sich vieles geändert: er führte Steckbriefe ein, grenzübergreifende Verfolgungen waren nun möglich und er setzte auf ganz neue Verhörmethoden mit Mitgefühl und Beziehungsaufbau zu den Gefangenen. Hierdurch konnte er zahlreiche Geständnisse erwirken und Informationen sammeln. Auch mit Mathias Weber baute er ein Vertrauensverhältnis auf, wodurch wir bis heute so viel von dessen Leben wissen. 

Es folgte der Prozess gegen den Fetzer, bei welchem ihm über 180 Einbrüche und 2 Morde – einen davon an seiner eigenen Frau – nachgewiesen wurden. Das Urteil: die Todesstrafe. Doch wie wir eingehend schon gesehen haben, ging der Fetzer keineswegs geknickt zu seiner Hinrichtung am 21. Februar 1803. Stattdessen schien er den Rummel um seine Person zu genießen und hielt noch vor der Guillotine eine Ansprache an die anwesenden Zuschauer: “Ich habe den Tod verdient, meine Freunde, hundert Tode für einen. Ihr, die ihr auf bösem Wege seyd, spiegelt euch an meinem Ende ! Junge Leute ! flieht, flieht die Hurenhäuser. Eltern ! erzieht eure Kinder in Religion. Denkt an Gott. Möchte mein Blut das Letzte seyn, das so vergossen wird.”  

Und auch wenn seine letzten Worte bestimmt anders gemeint waren, so war es in mancher Hinsicht tatsächlich das letzte Blut, dass auf solch eine Art vergossen wurde. Seine Hinrichtung war die letzte mit der Guillotine, die letzte öffentliche Hinrichtung in Köln und die letzte eines Räubers. 

Was bleibt von Mathias Weber bis heute? 

Schauen wir auf das kurze Leben von Mathias Weber – er wurde nur 25 Jahre alt – dann sehen wir eine wirklich außergewöhnliche und erzählenswerte Geschichte eines Räuberhauptmanns. Und in diesem Blogbeitrag kann natürlich nur ein winziger Bruchteil seiner Erlebnisse wiedergegeben werden. Sein Leben kann ganze Bücher füllen. Und hat es auch bereits. In den Jahren 1975 und 2005 erschienen zwei historische Romane des Autors Tilman Röhrig, die sich voll und ganz dem Fetzer widmen. Zusätzlich werden immer wieder Ausstellungen zu dem Räuberhauptmann veranstaltet (zuletzt 2022/2023 in Moers sowie 2007 im Niederrheinischen Freilichtmuseum in Grefrath) und bei historischen Stadtfesten erklimmt ein Schauspieler als Fetzer regelmäßig erneut das Neusser Rathaus. Die Anziehungskraft der Räuberromantik ist bis heute ungebrochen und gerade Mathias Weber als furchtloser, kluger und meist weniger grausamer Räuber als seine Genossen zieht immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Und hat es bereits zu seinen Lebzeiten, wie er selbst in seinen Vernehmungen bemerkte: “Mein Ruhm zog meinen Untergang nach sich.” 

Literatur

  • Hartmut Friesen, Räuberbanden, Diebestouren, Gaunerzinken und Bockreiter, Duisburg 1992.  
  • Hermann Jung, Der Fetzer, Die Geschichte eines Räuberlebens am Niederrhein zur Zeit Napoleons, Duisburg 1966. 
  • Johann Nikolaus Becker, Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an beyden Ufern des Rheins, Band 2, 1804. 
  • Hermann Ritter, Das Räuberunwesen im Rheinischen Lande vor 100 Jahren, Köln 1919. 
  • Johann Wilhelm Spitz, Geschichte der großen Niederländischen Räuberbande, bestehend aus der Brabändischen und Holländischen unter den Räuber-Chefs Abraham Picard und Franz Bosbeck, wovon unter 50 Räubern 32 Juden waren, Köln. 

Online

Hörmedien

Podcast: True Crime.Köln, Über 180 Überfälle in acht Jahren: Die Geschichte des Räubers “Fetzer” Mathias Weber, 03. Juni 2023 

Bildnachweise

  • Autor/-in unbekanntUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Michael Reschke, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons
  • Daniel Ponten, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Heinrich Oedenthal († 1866), Public domain, via Wikimedia Commons

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